Leichtfüßig

Einführung in die Ausstellung „Leichtfüßig“ Dr. Klaus Bock

10 Jahre GG3, 10 Jahre nachhaltige Kunst – Leichtfüßig versteht sich als Destillat von Bemühungen, nachhaltige Kunst zu schaffen, das Thema Nachhaltigkeit mit den Mitteln der Kunst in den Vordergrund zu stellen. Als nachhaltige Kunst gelten in diesem Rahmen Werke, für die möglichst wenige Ressourcen verbraucht wurden, die also einen sehr kleinen „ökologischen Fußabdruck“ haben. Unendlich klein ist er aber nicht, das wäre er nur, wenn es sich bei der Kunst um nicht mehr als einen Gedanken handeln würde (wenn überhaupt), und den könnten wir nicht in der Galerie gemeinsam betrachten. Also hinterlässt eine Ausstellung immer einen Fußabdruck. Ein Versuch: Man könnte doch zum Ausgleich den „Handabdruck“ der Kunst, also das, was die Kunst im Sinne einer nachhaltigen Zukunft bewirken kann, möglichst groß ausfallen lassen. Auf die Maße des Kunstobjekts kommt es dabei natürlich am allerwenigsten an, sondern vielmehr auf den symbolischen Schatten, den es wirft. Größe und Wirkung des Schattens hängen ab von der Position, der Stärke und der Streuung der Lichtquelle, die das Kunstwerk anstrahlt, und von der Projektionsfläche, die man dem Schatten bietet. So kann der symbolische Schatten der Kunst unendlich groß werden. Zudem gibt es bewährte Möglichkeiten, ihn zu vergrößern, indem man weitere Hände auf die Hand des Kunstwerks appliziert – das könnte z. B. die Kunstkritik sein oder Instagram. Greifen kann dieser Schatten jedoch nichts, und deshalb auch nichts direkt bewegen. Er ist symbolisch. Was die große Hand der Kunst dann leistet: Sie kann auf etwas oder jemanden verweisen.

Erhellende Schatten

Also lassen Sie uns auf den symbolischen Schatten einiger Arbeiten blicken, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, um zu prüfen, worauf sie verweisen. Zunächst – naheliegend – Christiane Gaeberts BERLINBERLIN, bestehend aus Plänen der Vorwende-Stadt, zerschnitten und umgeformt zu feingliedrigen Skulpturen, deren Schatten mich an einen Schmetterling, eine Pflanze o. Ä. denken lassen. Berlin, die Autofahrerstadt, erscheint vor grauem Hintergrund wie ein organisches Wesen. Ein Blick in eine verheißungsvolle Zukunft? Oder Andrea Gollas Waste Your Time – aus Abfällen hat sie einen betörenden Teppich gelegt, dessen chemische Zusammensetzung der eines Kaufhaus-Teppichs vermutlich sehr ähnlich ist. Was kaufen wir im Möbelhaus anderes als den Abfall von morgen. Wahrscheinlich müssen wir also zu einem anderen Umgang mit all diesen Dingen gelangen, als immer nur zu versuchen, was wir gerade erst erworben haben, möglichst schnell wieder loszuwerden. Mariel Gottwicks Jede Woche eine neue Welt kommt wiederum der Rede vom Kunstwerk als Gedanken sehr nahe. Die Besucher*innen sollen die Welt – in Gestalt von Kisten mit anspielungsreichen Aufschriften – umbauen, woraus sich immer neue Wortspiele ergeben. Hinter den Wörtern tauchen stets unsichtbare Fragezeichen auf, der Umbau der Welt kommt so niemals zu einem harmonischen Ende. Die oben erwähnte Hand begegnet uns in ihrer größtmöglichen Fassung als Stephan Groß‘ Hand of God, deren Gegenstück eine Vase ist, die einer Koralle – je nach Weltanschauung Produkt der Evolution oder der Schöpfung – nachempfunden ist. Der göttliche Funke tritt über auf das Designobjekt. Oder vielleicht geht die Eingebung den umgekehrten Weg, wenn Ludwig Feuerbach recht hatte und der Mensch tatsächlich Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat. (Die Hand in diesem Werk ist ja auch nur aus Porzellan, wovon der Titel geschickt ablenkt.) Diese kleine Arbeit wirft also wie bereits angedeutet einen gewaltigen Schatten.

Kunstvoll danebenliegen

Der Schatten unserer eigenen Vergangenheit fällt auf uns in Gestalt von Claudia Michaela Kochsmeiers Geschichtsträchtige Formen rufen ein Gefühl von Wirklichkeit hervor. Gefühle löst der Fernseher, den sie uns präsentiert, aus, weil darin die früheren TV-vermittelten Ängste und der Verdruss als Nostalgie aufgehoben sind. Weswegen wir in der Vergangenheit nicht schlafen konnten, darin mümmeln wir uns heute wohlig ein. Wie sonst ist die Infotainment-Flut an historischen Dokumentationen und alten Nachrichtensendungen auf den Internetportalen der Fernsehsender zu erklären (https://www.ardmediathek.de/retro). Den Fernseher hat Kochsmeier mit einer Sandschicht überzogen, in der sie einen Fußabdruck hinterlassen hat. Diese Schicht erinnert uns daran, dass nicht nur die meisten früheren Ängste, sondern auch die damaligen Versprechungen von den tatsächlichen Geschehnissen verweht wurden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird man dasselbe bald schon über heutige Zukunftsvisionen sagen.

Wir erliegen zwangsläufig immer neuen Irrtümern (und manchmal alten aufs Neue). Worum wir uns bemühen müssen, ist also nicht, am Ende recht zu behalten. Unser Ziel sollte es sein, dass unsere Irrtümer nicht so fatal sind wie die Stürze von Christoph Medicus’ Wurfpuppe aus Don’t you throw yourself away again?. Die Puppe wirft sich für uns in den Abgrund. Vielleicht hilft die Kunst auf diese Weise dabei, das eine oder andere Fatale zu umschiffen, indem sie uns stets einen Irrtum, ein Verhängnis voraus ist. Denn Künstler*innen dürfen oder sollen ja genau das: in die Irre gehen. Aber bitte auf so hohem Niveau wie in dieser Ausstellung.