Stephan Groß geht es in vielen seiner Arbeiten um das, was sich unter einer appetitlichen Oberfläche verbirgt; er macht aufmerksam auf den Bei- und Nachgeschmack der Dinge. Um mit der Arbeit „In den Wind geschrieben“ zu beginnen, die diese These unmittelbar stützt: In dieser wandfüllenden Brailleschrift der Buchstabenfolge BASF entsprechen die grauen Felder schädlichen Partikeln in der Luft – ein Verweis auf die Umweltzerstörung und ehemalige Menschenvernichtung des BASF-Chemiekonzerns, der mitunter versucht hat, die problematischen Aspekte seiner Geschäftstätigkeit unter dem Tarnnetz kritischer Kunst zu verbergen. Ähnlich „Hannibals Alpenunterquerung“: Die Elefanten dringen durch das Kellergeschoss in den Berg ein. Und in den AI-generierten Bildern zu Beginn der Ausstellung durchbohren die schneidenden Blicke künftiger Generationen die philosophischen Grundlagen unseres westlichen Denkens. Was ist die Kehrseite von dessen bahnbrechendem Erfolg, wohin führt uns die westliche Fortschrittsprämisse – ein Fortschritt, den der Philosoph und Psychiater Karl Jaspers, den die KI in den Bildern gegenüber von Babys platziert hat, in der exakten Wissenschaft, nicht aber in der Philosophie verortet hat. Ausgerechnet Jaspers sitzt hier, der Apologet der Existenzphilosophie und Warner vor dem Totalitarismus, der mit dem freien Individuum und dem Ganzen des Seins, das über das hinausgeht, was die Methode der exakten Wissenschaft erfasst, Letztere komplementierte. Solche spannungsreichen Kollisionen, unerschöpfliche Quellen immer neuer Sichtweisen aufgrund eines sich ständig verschiebenden Frontverlaufs, sind die Basis von Groß‘ Kunst.

Jaspers zufolge tragen wir in Anbetracht unserer Freiheit Verantwortung für unser Handeln, womit wir beim Thema Nachhaltigkeit wären. Diese Ausstellung ist ein Netzwerk an Verweisen (Stephan Groß würde wohl eher von einer „Collage“ sprechen), die zwar – wie der Künstler sagt – zum Teil Zufällen geschuldet sind, die aber dessen ungeachtet eine Bedeutung in sich tragen. Weil es eben Verweise sind. Wir müssen und können sie nicht alle entschlüsseln und stehen trotzdem unweigerlich mittendrin; so verhält es sich ja auch mit den globalen Zusammenhängen und dem Thema Nachhaltigkeit.

Aber was sagt nun das Baby zum alten weißen Mann, zum Philosophen Jaspers, im Rahmen ihres Disputs? „Progressive“, so heißt diese Schau, also was ist noch dran am westlichen Fortschrittsversprechen, wie könnte es formuliert werden und wer oder was ist dessen Träger? Gilt es bloß noch, den maschinellen Bewegungsimpuls möglichst stark abzubremsen, bleibt uns als letzte Utopie nur der Erhalt des Status quo, oder gibt es doch noch was zu gewinnen? Hier in der GG3 gibt es das zumindest im Kleinen – in Gestalt der Kunst von Stephan Groß. Ob darin ein Versprechen liegt oder ob es sich nur um einen schwachen Trost handelt … Dass er diese Frage in den Raum stellt, dass er für uns mit jeder seiner Arbeiten ein weiteres Türchen zu einem Feld jenseits seiner Kunst aufstößt, ist die herausragende Leistung von Stephan Groß.