Einführung in die Ausstellung Der Gesang verschwindender Arten durch Dr. Carola Muysers . Bees & Butterflies. Agentur für kreative Unternehmen
27.04.-22.06.2018. Group Global 3000, Galerie für Kunst und Nachhaltigkeit, vertr. durch Tom Albrecht, Leuschner Damm 19, 10999 Berlin.
Die Industrialisierung der Landwirtschaft mit ihren schädlichen Düngemitteln und Unkrautgiften bedroht die Artenvielfalt auf ganzer Linie. Die bunte Tier- und Pflanzenwelt schwindet, die Artenvielfalt geht zurück, ja ganze Arten verschwinden von unserem Planeten. Ihr Abgesang hat begonnen.
Auch wenn die Umwelt-, Natur-, Tier- und Landschaftsschützer warnen, auch wenn Statistiken des Artensterbens vorliegen und Petitionen auf allen Ebenen der Politik verhandelt werden – die wenigsten hören den Gesang der verschwindenden Arten, die wenigsten sehen, dass diese ihren Abschied nehmen. Und die allerwenigsten sehen die fatalen Folgen für die Menschheit.
Die Künstler.innen Alfred Banze, Sandra Becker, Lioba von den Driesch, Stephan Groß, Sylvia Anais Krüger, Benna Gaean Maris, Sybille Neumeyer und das Künstlernetzwerk Magenta richten nun in der aktuellen Gruppenausstellung der Galerie Group Global 3000 ihr Augenmerk genau auf diese Thematik. Ihre Installationen, Zeichnung, Audio- und Videostücke sowie Fotocollagen und Objekte verleihen dem Phänomen des Artensterbens eine visuelle, akustische und haptische Gestalt. Die so entstandenen Werke bilden eine neue Kunst-Sprache, sie bestücken unser kulturelles Gedächtnis mit einem neuen künstlerischen Vokabular.
In ihren Audio Tracks mixt die italienische Künstlerin Benna Gaean Maris Tierlaute mit Worten und Gesang. In „Evergreen “ klingt das Gezwitscher exotischer Vögel wie aus der Tiefe des Dschungels, das sich mit von der Künstlerin gesungenen Oldie-Hits, überkreuzt. Die technische Verzerrung sorgt über ein urzeitliches Donnergrollen und es entsteht ein Klangteppich aus vertrauten, fremden und bedrohlichen Sequenzen. Assoziationen an die Schöpfung, Evolution und die Kultur der Menschen werden geweckt. Wir beginnen in die Geschichte hinein zu lauschen.
Der Audio Track Dying for Selfies (dedicated to baby dolphins) ist dem Tod eines Babydelphins in Spanien gewidmet. Strandbesucher hatten ihn für Selfies immer wieder aus dem Wasser geholt, ihm plumperweise die Luftzufuhr abgeschnürt und ihn so in Aufruhr versetzt, dass es in der Folge starb. Hier verbinden sich Delphinrufe mit dem von der Künstlerin ausgesprochenen Wortspiel Selfish. Der Klangteppich wird zu einem Klagegesang, den man gerne als Installation am Ort des Geschehens hören möchte.
Die Medienkünstlerin Sandra Becker, die sich auf die künstlerische Erforschung von konkreten Phänomenen sowie gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhängen spezialisiert hat, ist dieses Mal mit einem kleinen Labor mit dem Titel „Birds 2018“ dabei. Hier können wir uns Studien zu Flugbahnen und -formationen sowie Karteikarten aus einem kleinen Kasten ansehen, auf denen Wikipediaeinträge von aussterbenden Vogelarten stehen. Aus einem Lautsprecher erklingen digital verfremdete Vogelstimmen. Die Installation ist wie ein Ausschnitt aus ihrem Atelier, in dem das Artensterben künstlerisch erforscht wird. Die Ästhetik der Flugbahnen, der verfremdeten Vogellaute und des kleinen schwebenden Karteikastens steht konträr zu den erschreckenden Zahlen des Vogelsterbens: In Deutschland gibt es seit 2006 12,7 Millionen Vogelbrutpaare weniger.
Die Installationskünstlerin Sylvia Krüger hat ein Füllhorn aus kräftigem Sisal gebaut, das über dem Boden schwebt. Ein Füllhorn, das unter dem Titel „Whispering honey“ eigentlich den lebensspenden Honig und Blumen spenden sollte. Stattdessen bietet er 100en von eigens eingesammelten toten Bienen eine Heimstatt. Das Füllhorn hat seitlich eine Geschwulst aus vertrockneten Gräsern und Blumen, in dem sich ebenfalls tote Bienen verfangen haben. Das Füllhorn als Sinnbild für die Natur, ist krank. Der Prozess von Spenden, Bestäuben, Wachsen und Weitergeben ist gestört, ja umgedreht. Anstatt Leben zu gebe, ist das Füllhorn zur Grabstätte geworden. Kaum deutlicher ist zu sagen, dass hier mit der Natur etwas nicht stimmt und dass die Verursacher wir selbst sind.
Das griechische Künstlernetzwerk Magenta mit den Hauptakteurinnen der bildenden Künstlerin Katerina Sotiriou und der Bühnen- und Kostümbildnerin Elena Timplalexi zeigt in seinem Video „Unstill Life – Exquisite Corpse“ eine Lilienblüte, die in einem Backofen erhitzt wird und verblüht. Im Zentrum des Kunstschaffens von Magenta steht das Thema Leben und Tod. Die dazugehörigen Projekte untersuchen das Leben und Sterben mit einem eigens entwickelten künstlerischen Vokabular, das tiefgehende Deutungen zulässt. Hier ist es das Pflanzensterben, das die Künstlerinnen in der Ummantelung des Ofens wie in einem Schaukkasten inszenieren. Der Backofen, in dem die Lilie, eine bedeutende Pflanze in der Geschichte der Kunst, eröffnet mir eine noch grausigere Assoziation: die Kzhafte Vernichtung von Leben in jeglicher Form.
In seinem Collage-Druck „Frozen Warnings“ kombiniert der Grafik-, Installations- und Collagekünstler Stephan Gross das Motiv zweier Flamingos auf einer Eisfläche mit dem eines kleinen Jungen, einem Kriegsopfer. Eine Decke dient dem Jungen und den Flamingos als kleiner Schutz. Sie verbindet die beiden völlig unterschiedlichen Elemente. Die grobe Druckrasterung der Collage lässt ein neues Bild entstehen: der Junge ruht gemeinsam mit den Flamingos auf dem Eis, er ist wie sie verwundet bzw. tot und er ist wie sie der Eiseskälte ausgesetzt. Das neue Bild leuchtet in Eiscreme- bzw. Werbefarben: Rosa, Weiß, Blau, Pink und Lila. In seiner Schönheit fragt es zugleich nach der Verletzbarkeit der Lebewesen, nach Leben und Tod, nach den Verantwortlichen für dieses Szenario. Wie der Titel sagt, versteht sich das Bild als optisch einprägsame Warnung ohne den erhobenen Zeigefinger, auf den wir ja schon längst nicht mehr reagieren.
Mit ihren mehren 1.000 Bienen in einem Leuchtkasten hat Künstlerin Sybille Neumeyer den “song for the last queen” komponiert. Die Bienen sind einzeln in einem mit Akazienhonig gefüllten Glasröhrchen fixiert und in den Kasten plaziert. Die Tierkadaver sind Teil eines Notenblatts, eines Glasfensters, einer Studienvitrine, vor dem wir staunend stehen bleiben. Um dann mit dem Sterben einer der bedrohtesten Tierarten in unserem Ökosystem konfrontiert zu werden, das wir möglicherweise nicht mehr abwenden können.
Für die Installation “field” lässt die Künstlerin das Pflanzenmotiv aus zahlreicen 1-Dollarscheinen emporwachsen, das sie zuvor fein herausgeschnitten hat. Die Dollarscheine hat die Künstlerin eigenständig im Gemüseanbau verdient. Eine mit Dollarnoten bezahlte Monokultur, die uns in ihrer Schönheit fasziniert, um uns beim reflektierenden Betrachten mit einem massiven landwirtschaftlichen Problem zu konfrontieren.
Auf seiner großformatigen Zeichnung „Seaweed“ hat der Künstler Alfred Banze zahlreiche Büschel Seetang in Tusche und Wasserfarben festgehalten. Aus zartgrünen Strichen und schwarzen Punkten breiten sich die einzelnen Tang-Ästchen über die gesamte Bildfläche aus. Sie folgen ihrem eigenen Rhythmus, jeder Strunk schlängelt sich in eine eigene Richtung. Für diejenige, die länger hinschaut, entsteht eine Tiefenwirkung, in der die Stückchen wie zerstückelte Chromosomen davonschwimmen. Mit seiner Zeichnung: Beauty – Not Made for Humankind (Seaweed) will uns der Zeichner, Medienkünstler und Performer über unser funktionalisiertes Natur- und Schönheitsverständnis hinausführen, das uns ausschließlich nach Nutzen und Profit schauen lässt. Wie schön die Kalligraphie des Seetangs im Wasser ist, sieht nur diejenige, die ihren profitierenden Blick aufgibt.
Die Medienkünstlerin Lioba van den Driesch zeigt in ihrer Stopmotion Animationen von Vögeln, Insekten und Fröschen. Die Wasserzeichnungen auf einer Schiefertafel halten die Tiere als Schatten fest, die sich formieren, fliegen, schwimmen und im Trocknungsprozess vergehen. Der Retrocharakter der drei Kurzfilme gibt uns Einblick in eine Welt der Vielfalt, wie es sie einmal gab. In der Zeit solcher Filme, ich denke an Lotte Reiniger, die große Animationskünstlerin und Vorgängerin von Walt Disney.
Die Ausstellung „der Gesang verschwindender Arten“ demonstriert auf vielen Ebenen Verantwortlichkeiten.
Die Kunstobjekte rufen inhaltlich dazu auf, mit dem Irrsinn der systematischen Zerstörung der Arten und Natur aufzuhören.
Dann fordern sie auf der ästhetischen Ebene Achtsamkeit, man muss schauen, lauschen, lesen und seinen Grips einschalten, um die Werke und ihre Botschaft zu erschließen.
Und die Künstler.innen präsentieren ihre Kunst im Rahmen eines Netzwerkes, wo alle an der Idee eines besseren Umgangs mit der Natur festhalten.
Schließlich ist die Galerie „Group Global“ ein Ort, wo die künstlerischen Appelle zur Nachhaltigkeit Gehör finden, laut und verbreitet werden.
Der Gesang der verschwindenen Arten ist lauter, als wir denken. Stimmen wir mit ein und machen ihn wieder zum Gesang einer lebenswerten Welt.
Berlin, den 27.04.2018
© Dr. Carola Muysers, Agentur „Bees & Butterflies“, Gitschiner Str. 61, 10969 Berlin. Zur Verwendung als Ausstellungstext, für die Website von GG3, für Führungen in der Ausstellung und für eine Publikation zur Ausstellung. Weitere Verwendungen bedürfen der Abstimmung mit der Autorin.